Gespräch it Madame Rumiko Tamura aus St. Maxinmin Ste. Baume

Was mir wirklich am meisten fehlte, das war japanische Lektüre. …normalerweise durchliest man Zeitschriften und wirft sie dann weg, aber damals, in der ersten Zeit, las man alles bis hin zu der Werbung!

Madame un dMonsieur Tamura in La Colle s/Loup 2005.
Madame un dMonsieur Tamura in La Colle s/Loup 2005.

Mir scheint, dass Sie ja auch schon sehr lange Aikido praktizieren, nicht wahr?

Oh ja, zwar mit einigen Auszeiten, aber da kommen schon einige Jahre zusammen. Als unsere Kinder klein waren, habe ich fast 10 Jahre nicht praktiziert.


Und Sie haben damit in Tokio vor Ihrer Ehe begonnen?

Ja, ein wenig, ein bisschen mehr als ein wenig …


Sind Sie in Tokio geboren?

Ja, ich bin dort geboren geworden, ich bin dort aufgewachsen, ich kenne nur Tokio. Vom restlichen Japan habe ich keine großen Kenntnisse. Im Viertel von Shinjuku-ku in Tokio habe ich gelebt, dort ging ich zur Schule, und dort ist auch das Honbu Dojo.


In welchem Alter haben Sie begonnen Aikido zu praktizieren?

Ich war 18 oder 19 Jahre alt.


Was war es, was Sie zum Aikido geführt hat?
Oh, das war ein Zufall: Toshiyuki Arai, mein Sempaï in der Schule – er war vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich – wurde Aikidolehrer in der Stadt von Takasaki. Eines Tages, auf dem Nachhauseweg von der Schule, wir fuhren im selben Zug… sagte er mir, dass er Aikido mache und ich solle es mir doch einmal anschauen kommen. Ich ging hin und es hat mich sofort fasziniert. Außerdem ist meine damalige »beste Freundin« mitgegangen, es gefiel ihr, und so haben wir zusammen begonnen. Aber sie hat nicht wirklich weitergemacht, so machte ich allein weiter.


Als Sie ins Honbu Dojo eintraten, sind da nicht alle ehemaligen »alten Meister« noch dort gewesen?

Zu dieser Zeit waren sie alle ushi deshi. Er (Anm. der Red.: damit ist Tamura Sensei gemeint), Yamada Sensei - dieser war »kayo no deshi«, das heißt, dass er nicht im Dojo schlief, aber er kam alle Tage ins Training - ebenso Kanai Sensei, Sugano Sensei, Kurita Sensei, Chiba Sensei, …sie waren alle da. Als ich begonnen habe, war Chiba Senseï nicht dort, er befand sich im Prozess der Genesung, weil er sich die Hüfte verletzt hatte. Ich habe ihn erst nach drei Monaten kennen gelernt. Yamada-san, Saotome-san, Kurita-san, Kanai-san, Chiba-san.
Und Tada Sensei?

Tada, der war bereits ein Meister. Er gab Unterrichtsstunden im Honbu Dojo, wie Arikawa Sensei.


Kobayashi …?

Welcher? Yasuo, ja er war auch ushi deshi, kayo no ushi deshi.


Gab es zu dieser Zeit viele Frauen im Honbu Dojo?

Ganz am Anfang, als ich begonnen habe, waren es nur wenige. Da war die Schwester von Yasuo Kobayashi, die sich meiner als Anfängerin »angenommen« hat… sie war ein sehr reizendes Mädchen. Es war ist schade, dass sie aufgehört hat… Zum Beispiel, sie hatte langes Haar, zwar nicht wirklich zum Knoten gebunden, aber so etwas befestigt … Und selbst wenn sie shiho nage machte, bewegte sich kein Haar bei ihr, so korrekt war ihr shiho nage. Sie war so etwas wie meine Lehrerin. Es gab noch ein anderes sehr reizendes Mädchen, sie hatte im Alter von 16 Jahren begonnen, etwa so in dem Alter, sie hatte keinen Dangrad, die Schwester von Kobayashi hatte ebenfalls keinen Dangrad, auch war sie daran nicht interessiert, für mich aber hatten sie beide ein sehr hohes Niveau. Später erhielt sie einen Grad, aber niemand dachte daran einen Grad zu erwerben. Sie war sehr schüchtern, aber arbeitete sehr gut. Später hat sie Meister Maruyama geheiratet, welcher mit Meister Tohei weggegangen ist.


Wer gab die Kurse während dieser Periode?

Der Doshu, das heißt Kishomaru Ueshiba Sensei. O Sensei auch, wenn er in Tokio war. Wenn er dort war, machte er den ersten Kurs, morgens um 6 Uhr 30, andernfalls war es Doshu Koshimaru Sensei, der diesen Kurs gab. Aber die ushi deshi gaben auch Kurse, mittwochnachmittags, wenn ich mich recht erinnere. Ein weiterer fand an einem anderen Tag um 17 Uhr statt. Aber was gut war, war, dass bei dem Kurs um halb sieben alle ushi deshi anwesend sein mussten. Und wenn keine anderen Mädchen zum Kurs erschienen, dann war es oft so, dass niemand mit mir arbeiten wollte – eine Anfängerin ist eben nicht interessant – und oft blieb er (Anm. d. Red.: er = Tamura Sensei) auch alleine, dann nahm er mich als Partnerin. Aber später war es des Öfteren Saotome Sensei. Man kann sagen, dank Saotome Senseï habe ich das Aikido fortgesetzt. Denn wenn mich niemand aufforderte, dann musste ich im seiza sitzen bleiben, was besonders im Winter… Für Kuniko-san, der Schwester von Kobayashi Sensei, war das der Grund auszuhören. Da ich etwas später anfing, hatte ich das Glück, dass es andere Mädchen gab. Denn Kuniko erzählte mir, dass sie so manches Mal über eine Stunde im seiza bleiben musste …

Aber schlimm war es mit O Senseï im Winter, wenn er ca. 40 Minuten nur sprach, und ich war es wirklich nicht gewöhnt so im seiza zu bleiben… und dann auf einmal sollte man aufstehen und trainieren, jeder erhob sich, aber ich, ich konnte nicht, also blieb ich während des ganzen Kurses sitzen.


Sie arbeiteten mehr mit Saotome Senseï als mit Ihrem Ehemann?

Ja, weil er oft mit Verspätung ankam, als er nicht mehr am Dojo wohnte – er hatte ein Appartement mit seinem Schwager gemietet – und es kam oft vor, dass der Schwager ihn nicht weckte, und dann kam er zu spät zum Kurs. Saotome Senseï war der letzte, der bis zu seiner Heirat im Dojo geblieben ist.


Sind Sie bis zu Ihrer Ausreise nach Frankreich im Honbu-Dojo geblieben?

Ja, ja …


Sie haben also lange Zeit in Japan praktiziert?

Nein, eineinhalb Jahre, zwei Jahre. Ich habe mit 18 Jahren begonnen, wir haben geheiratet, als ich 22 Jahre alt war. Ja, das macht vier Jahre. Drei, vier Jahre, weil zum Beginn, als Anfängerin ging ich nicht alle Tage ins Training, vielleicht nur einmal pro Woche. Später ging ich fast alle Tage dorthin, bevor ich zur Schule ging. Das hing aber davon ab, wann die Schule begann. Mal begann sie nach dem Kurs von 6:30 - 7:30 Uhr, mal nach dem Kurs von 8 Uhr bis 9 Uhr. Wenn die Schule früher aus war, ging ich direkt zum Dojo, so konnte ich abhängig vom Schulschluss noch eine oder zwei weitere Stunden praktizieren.


Als Sie 1964 nach Frankreich kamen, da gab es noch nicht viel Aikido?

Es gab 700 Praktizierende in der ACEA (Association Culturelle Européenne d'Aïkido, Anm. d. Red.), die durch Herrn Pierre Chassang gegründet worden ist, der ein Pionier war.


War zu dieser Zeit das Aikido in Europa im Vergleich zu dem in Japan sehr verschieden?

Ein Vergleich erscheint mir schwierig, denn zu der Zeit waren meine Kenntnisse nicht ausreichend, um jetzt darüber sprechen zu können.


Sie hatten aber schon vier Jahre praktiziert.

Vier Jahre sind nichts. Heute beginne ich die Unterschiede zwischen jedem Land zu sehen, aber seinerzeit… Für mich war nur O Senseï der verschieden war. Ich zog die anderen Meister vor. Egal wie, man konnte es nie so machen, wie er es erklärte: man begriff nichts.

Aber ich habe viele Erinnerungen an diese Zeitepoche: es war meine Jugend, eine mit Leidenschaft erfüllte Jugend. Ich war sehr gut mit einem Mädchen befreundet, die nach Kalifornien gegangen ist. Sie ist noch immer dort und ist noch immer dem Aikido treu. Wir haben uns nach über dreißig Jahren in Kalifornien wiedergesehen. Im Dojo gab es auch noch Terry Dobson, ein großer Amerikaner. Er ist leider gestorben.

Monsieur Tamura: Er ist in dem Film …

Ja, man sieht ihn in einem Film von O Sensei. Es gefiel O Sensei, große starke uke zu nehmen…, wenn sie fielen, dann vibrierte das ganze Dojo. Später kam auch noch Robert Nadeau ,ein anderer Amerikaner, ins Dojo, er war auch »ein wenig speziell«, er hat später auch in Kalifornien weitergemacht. Einen Engländer gab es auch, Quintin Chambers, er lebt jetzt in Hawaii. Wenn ich heute ins Honbu-Dojo, dem Aikikai, zurückkehre, dann gibt es bis auf eine oder zwei Personen so gut wie keine Person mehr, die ich noch von früher kenne. Es ist vierzig Jahre her … Der eine oder andere hat weitergemacht, aber sie kommen nicht mehr in die morgendlichen Kurse, oder sie trainieren irgendwo, oder aber sie haben ihr eigenes Dojo. Einige aber sind verstorben …

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