Erste Gespräch mit Frank Ostoff aus Düsseldorf. AJ N° 50D

…alle, die ein wenig älter waren, »wollten dann nicht mehr so«. Wer quält sich schon selbst? – Sprich, sie wollten aufhören. Heute höre ich von denen: »Großartig, zeig uns mehr!« Koshinage ist kein Thema mehr.

Frank Ostoff liest das aikidojournal in der Druckerei in Wiesbaden.
Frank Ostoff liest das aikidojournal in der Druckerei in Wiesbaden.

Nachdem wir in der Ausgabe 47D–3/06 Euer Interview veröffentlicht hatten, fragte ich mich, ob ihr bei der Durchführung der Techniken Änderungen vorgenommen habt?

Nein, das Ausführen der Techniken ist und bleibt auf dem Niveau des Aikikai und orientiert sich im Detail an der Arbeit von Christian Tissier sowie an der Kontaktarbeit von Endo Sensei … – das Einzige, was wir geändert haben, ist, dass wir in der Vorbereitung an dem Prinzip des ukemi gearbeitet haben – z. B. was ist die Idee des uke, was kann uke mehr dazu beitragen, damit der Kontakt intensiver wird? Dadurch werden die Techniken schärfer, präziser, weil man mehr ins Zentrum gehen muss.

Am Anfang aber haben wir ein Bewegungsniveau wie im Tai-Chi – es ist bewusst langsam, viel langsamer, um deutlicher, bewusster herausarbeiten zu können, wo der Fluss ist, zu erfühlen, wo die Bewegung hingeht. Die Techniken als solche sind sehr scharf und mit einer hohen Dynamik, was uns besonders wichtig ist, aber sie sind eben durch diese Vorarbeit sehr sicher, auch was den uke angeht. Die Verletzungsgefahr durch eine Unsicherheit im Fallen wird dadurch herausgenommen, fast eliminiert.

Hebel wie sanyko oder nikyo laufen nun eher wie eine Linie, gleich einer Wasserlinie durch den Körper und sind nicht mehr dazu da, das Gelenk zu blockieren oder zu manipulieren oder Schmerzpunkte zu suchen.

Das hat sich sehr verändert. Wenn also ein Problem auftaucht, versuchen wir einen Weg zu finden, sodass ein Fluss bleibt und kein körperlicher Konflikt entsteht.


Es geht also nicht um das Suchen von Shiatsu-Punkten, um den Körper zu kontrollieren?

Nein, überhaupt nicht. Es ist eher so: Wenn sich der Oberkörper nicht bewegen kann, dann müssen sich die Beine bewegen, oder können sich die Schultern nicht bewegen, dann muss sich die Wirbelsäule bewegen. Die initiierende Bewegung ist die der Wirbelsäule, die Zentrumsbewegung. Von da aus muss dann der Kontakt aufgebaut werden.

Das findest du auch bei Endo Sensei, nur erklärt er es eben nicht! Auch erklärt er die innere Bewegung nicht, du siehst bei ihm z. B. nur das äußere Bild. Das wird tausendmal gezeigt, aber dass dazu im Inneren auch eine Bewegung im Zwerchfell oder eine Beckenbodenanspannung dazugehört, oder dass eine Lendenwirbelbewegung erfolgen muss, das kommt nicht rüber, das sieht man nämlich nicht.


An solchen Details arbeiten wir sehr intensiv. Das machen wir so, wie es jetzt auch bei Endo Sensei´s Stunden zu sehen ist. In einer Doppelstunde ist die erste Stunde Prinziparbeit – jeder muss da seine Rolle erfüllen. Dann erst kommen die Technik und die Dynamik, in die das Vorhergegangene eingebaut wird.

Ein klassisches Beispiel ist Shio-nage mit Vorwärtsrolle – das ist für viele eine echte Herausforderung: wohin mit dem Ellenbogen? was tun mit dem Handgelenk? der Schulter…? Unsere Arbeit beginnt damit, dass tori auch eine stützende Hand geben kann, und er führt so weit herunter, dass er als erstes auf die Knie geht und ganz tief führt, um die benötigte Sicherheit zu vermitteln. Damit wird dann eine Weile gearbeitet… – auch wird in dieser Arbeit ein Wechselspiel ausgeführt, so wie man es im Judo sieht, dieses Vor- und Zurückgehen, um dann den Wurf auszuführen – das vermittelt eine hundertprozentige Sicherheit für uke, wenn er sie denn braucht. Dann erst kommt der Wurf. Von diesem Punkt ausgehend können wir dann weiter an der Technik arbeiten. Aber dieser Aufbau lässt uke das Timing »erarbeiten«.


Tja, diese Würfe über die Schulter, da musste man sich früher »durchbeißen« – »spring oder stirb«, ich habe mir bei so einem Überwurf einmal den Arm ausgekugelt – das anschließende Aufschlagen ist nun wirklich nicht das Gesündeste für Organe und Körper. Aber das wird leider erst im Alter »bemerkt«.

Oh nein, da leiden die Gelenke, und die Erschütterungen quälen die Organe. Bei einem solchen Aufschlag bebt die Energie mindestens dreimal durch den Körper. Man kann das sehen, wenn man es genau beobachtet.

Und genau daran arbeiten wir intensivst. Jedes »Landen« auf der Matte muss wie das Landen eines Blattes sein – es schwebt auf den Boden; das will heißen, dass der Körper nicht aufschlägt, sondern durch eine Streckung, wie im »Zeitlupentempo«, nach und nach »ankommt«, einen Kontakt nach dem anderen. Als Letztes kommen die Füße an, auch diese hört man nicht mehr.

Uke lernt, den Oberkörper entspannt zu halten und die Energie in die Beine zu schieben, sodass die vertikale Kraft umgeleitet wird. Das ist nichts Neues, das kannst du bei jedem Kunstturner beobachten. Wenn die einen Überschlag machen, da gibt es kein auf die Matte knallen. Auch bei Tänzern kannst du das beobachten, wenn sie in die Luft fliegen, dann bekommen sie ein »Langsamkeit«, was einem Stehen in der Luft gleicht, weil sie sich strecken.

Wenn der Überschlag kommt, machen wir es so, dass wir die Kraft in die Füße schicken; man verschiebt sozusagen seinen Schwerpunkt. Dadurch erreicht man ein »Schweben« in der Luft und man kann den Fall kontrollieren.

In meiner Schule in Düsseldorf hat das zu einer extremen Veränderung geführt, denn alle, die ein wenig älter waren, »wollten dann nicht mehr so«. Wer quält sich schon selbst? – Sprich, sie wollten aufhören. Heute höre ich von denen: »Großartig, zeig uns mehr!« Koshinage ist kein Thema mehr. Teilnehmer, die altersbedingt oder durch das Berufsleben schon einen Bandscheibenvorfall hatten und immer gleich abgewinkt haben, die »fallen« heute mit Vergnügen, weil sie sich kontrollieren können und daher nicht mehr hart fallen.

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