Mangel an Aufmerksamkeit und die Wichtigkeit der Aufmerksamkeit allem gegenüber, nicht nur dem Aikido...

Aikidojournal Interview

Ist das nicht auch ein Problem des tradierten Lernens?

Es ist eben eine Lernmethode, und irgendwann fliesst dann doch das Eigene aus diesen vielen Kopien. Man sieht es ja bei älteren Tada-Schülern, sie haben viel abgeschaut, aber irgendwann kam ihr Aikido heraus. Tamura sagte das doch auch in seinem letzten Interview, nicht wahr?

Ich weiss natürlich auch, das Meister Tada noch nicht all zu lange »runder«, und »lockerer« ist. Das zeigt doch, dass auch er noch lernt, das ist nicht nur das Alter.


Liegt es vielleicht auch daran, dass es in der japanischen Lehrmethode keine Pädagogik gibt?

Das ist japanische Tradition, dies ablegen zu wollen, erfordert einen Kraftakt.
Das Sitzen ist ein gutes Beispiel, wenn man »Samurai-mäßig« dasitzt, dann sieht das vielleicht gut aus, aber so kann niemand drei Stunden sitzen. Man muss den Rücken ganz leicht runden und die Beckenposition ebenso leicht verändern, dann sieht das sicher nicht mehr so schön aus, ist aber stabil und für den Körper angenehm.
Ich kenne auch einige Menschen aus Zenklöstern, die kaputte Knie haben, weil sie nicht locker und zu gerade sitzen.


Also hat man trotz guter Kenntnisse, in Sotai-ho, Isogai etc,. kein Übertragen, keine Lehrmethode, um es Übenden wie Lehrern zu vermitteln?
Die Körperhaltung ist ein weites, interessantes Feld. Es sind oft nur Millimeter, die in der Körperhaltung – der Beckenstellung – über »das was«, und »wie ist es richtig« entscheiden. Das Falsche spürt man leider erst nach vielen Jahren, wenn man als junger Mensch zu üben beginnt.

Wie sich das nun in der Zukunft für das Aikido entwickelt, das kann ich auch nicht sagen. Ich kann nur eine, mir bekannte Lösung anbieten. Denn ich werde oft gefragt, kann ich denn überhaupt mit meinen Rückenproblemen Aikido betreiben? Schon da benötigen diese Menschen eine positive Antwort, dann aber auch eine entsprechende Führung. In solchen Fällen ist aber erst einmal eine Stärkung des Körpers wichtig. Zum Beispiel erst einmal nicht Rollen, nur im tachi-waza üben. Wie im Tai-chi z.B., wo es dieses verletzungsgefährliche ukemi nicht gibt.
Eine Vorwärtsrolle ist doch für einen Anfänger ein Horror; dazu kommt, dass der heutige Mensch eine andere Einstellung zu seinem Körper hat als noch vor 30 Jahren; auch sind die heutigen Körper bereits in einer anderen Verfassung. Selbst Kinder sind heute nicht mehr so aktiv wie vor 30 oder 40 Jahren. Der Stuhl ist ein »unterstützendes Begleitmöbel« geworden.
So ist es wichtig, das man vermittelt, dass das Rollen einen hohen Stellenwert hat, dass es sehr viel Freude bringt.


Sind nicht sehr viele Jahre verloren gegangen, weil die Shihans zwar mit Aikido im Gepäck, aber ohne Pädagogik, in den Westen gingen? Oder sollte ich erkennen, dass das Aikido nicht verändert werden durfte?
Was meinst du zu der Aussage, die ich oft höre: »Im Westen wird das bessere Aikido gemacht«?

Das hörst nicht nur du, ich höre das auch. Anderseits sind die Japaner in der Ernsthaftigkeit, in ihrer Einstellung, also im Training besser, gradliniger. Ja, Italiener, Franzosen sind sehr geschickt, haben eine sehr gute Bewegung. Aber es ist nur die Bewegung, man sollte damit nicht zufrieden sein. Denn wenn man zum Beispiel etwas Einfaches immer wieder wiederholt, dann erfährt man so etwas wie eine »Erleuchtung«, und dann fliesst Energie.
Das gilt auch für mich, denn wenn das ki gut fliesst, dann heisst das für mich als Lehrer, dass ich etwas zeigen kann, dass die Freiheit der Bewegung sichtbar wird – die Schüler nehmen das wahr.

Ich sehe und höre von vielen, die mit hohen Dan-Graden Bundeslehrer waren, die große Schulen leiten, dass sie körperliche Probleme haben, die Knie machen nicht mehr mit, die Gelenke zeigen große Verschleiss-Erscheinungen, die Schülerzahlen sinken – die heutigen Ansprüche sind deutlich anders als vor einigen Jahren – niemand will sich freiwillig seine Knochen kaputt machen…


Wir haben vor einigen Jahren über das Üben mit der Eisenstange gesprochen …

Ja, es ist eine geistige Verfehlung, aber damals war es wichtig, denn dadurch habe ich letztendlich mit dem Aikido aufgehört und mit sotai-ho begonnen. Eine Erfahrung, wenn du so willst, die wichtig war.
Bis zum Umfallen habe ich das geübt, aber ich habe nie zu meinen Schülern gesagt, dass sie das auch tun sollen. Ich habe mir dann eine andere Technik zugelegt, mit den angezogenen Ellenbogen, also eine schonende Haltung beim Schlagen, ähnlich wie das bei Meister Shioda, von Yoshikan lehrte.

Heute mache ich das viel mit Kindern, um die Mittelachse zu betonen und die Schultern nach vorne zu nehmen.

Beim japanischen Budo hat das Schlagen eine gewisse Rolle. Zu diesem Zweck haben wir jetzt bei den Umbauarbeiten einen Eichenstamm im Dojo eingebaut. Um das Tategiuchi schlagen zu üben.

Wie gesagt, heute mache ich so etwas nicht mehr, ich übe heute, als seien mir Flügel gewachsen, ich hüpfe auf dem vorderen Teil der Füße, sehr schnell im Wechsel.


Du sagst also, dass es wichtig ist, viel zu üben und zu wiederholen, um ki zu entwickeln?
Ja. Mit der Bewegung fließen auch die Gedanken weg. Es geschieht etwas außen. Eine natürliche Bewegung auszuführen lernen. Das ist jetzt Sotai-ho, es wird »natürlich«. Sotai-ho ist angenehmes Bewegen. Aber man muss erst sensibel für das »Natürliche« werden. Es darf nicht mit Zwang, oder über Widerstand kommen. Freude mit angenehmer Bewegung. Wie ein Naturgesetz. Denn die Schüler kommen nur gerne, wenn sie Freude haben. Der heutige Rhythmus ist anders als der, wie wir früher geübt haben. Natürliche Bewegungen sind am stärksten, das ist es, was wir finden müssen. Vielleicht ist auch noch nicht alles gefunden.
Stark sein und weit werfen, das sind Dinge, die der Vergangenheit angehören, das ist nicht interessant, das bringt kein Gefühl für den Körper, das bringt keinen Lernprozess und schon gar keine Gesundheit.


Den gesellschaftlichen Pazifismus der Vergangenheit sehe ich schwinden. Vielleicht liegt darin ein Bereitschaftsproblem für Aikido?

Das ist gut möglich, die Zeit ändert sich.

Für mich war die Natur ein großes Thema, und die natürliche Bewegung wie auch der Friede. Nun wird aber auch die Natur kaputt gemacht. Die Umwälzungen sind sehr heftig, so war für mich Aikido immer ein gutes Ventil für eine Harmonisierung. Nicht stoßen und schlagen, sondern Freude. Wie lebe und praktiziere ich Frieden und Einheit mit der Natur? Das ist mir heute wichtig.

© Copyright 1995-2024, Association Aïkido Journal Aïki-Dojo, Association loi 1901